Projekt Beschreibung

München | Ausgabe 61 | Herbst 2022 | Text: Rechtsanwalt Dr. Enno Engbers, München

Die Erzeugerpreise für einzelne Baustoffe sind im Jahr 2021 seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs so stark wie noch nie gestiegen. Die hohen Baumaterialpreise und deren Volatilität erschweren die Kalkulation neuer Projekte. Durch den Ukraine-Konflikt hat sich das Problem noch einmal deutlich verschärft. So lag z.B. der Preis für Betonstahl im Juni 2022 um 53,8 % über dem Vorjahresniveau. Die gegensätzlichen Interessen der Bauvertragsparteien bergen reichlich Konfliktpotenzial: Der Auftraggeber will im Budget bleiben, der Auftragnehmer nicht in die tiefroten Zahlen rutschen. Für die Parteien bereits laufender, aber auch noch abzuschließender Bauverträge stellt sich die Frage, wie mit den Preissteigerungen umzugehen ist.

Grundsatz: vertragliche Vereinbarung bindend

Ausgangspunkt aller Überlegungen zu bereits laufenden Verträgen ist zunächst die vertragliche Vereinbarung. Haben die Parteien einen Festpreis vereinbart, trägt grundsätzlich der Auftragnehmer das Beschaffungs- und Kalkulationsrisiko hinsichtlich der von ihm zu beziehenden Baustoffe. Kostensteigerungen bei den Materialpreisen stellen keine Behinderung des Auftragnehmers dar, wenn sie nicht aus der Sphäre des Auftraggebers stammen. Der vereinbarte Preis ist verbindlich; auf eine Anpassung hat der Auftragnehmer grundsätzlich keinen Rechtsanspruch.

Anders zu beurteilen ist hingegen die Ausgangslage, wenn bereits im Bauvertrag die Möglichkeit von Vergütungsanpassungen vorgesehen ist, z.B. durch eine sogenannte Preisgleitklausel. Solche Klauseln ermöglichen eine prozentuale Anpassung der Lieferpreise, oft in Verbindung mit einem konkreten Preisindex. Die Ausgestaltung von Preisgleitklauseln ist allerdings rechtlich komplex, da verschiedene Vorgaben, z.B. des Preisklauselgesetzes, beachtet werden müssen.

Hausbauen wird immer teurer: Preisentwicklung Baumaterial

Ausnahme: Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage

Aber auch, wenn im Bauvertrag nichts zu einer Anpassung der Preise vereinbart worden ist, kann eine solche im Ausnahmefall nach § 313 BGB infolge einer Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht kommen. Voraussetzung ist ein unvorhergesehenes Ereignis, welches nicht aus der Sphäre der Vertragsparteien stammt und auch durch äußerste Sorgfalt mit wirtschaftlich verträglichen Mitteln nicht verhütet werden kann.

Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Feste Grenzen, bei deren Vorliegen automatisch eine Vertragsanpassung erfolgt, gibt es nicht. Sicherlich wird die Preissteigerung aber mehr als 15 bis 20 % betragen müssen, um die Anwendung von § 313 BGB zu rechtfertigen. In jedem Fall muss die Vertragspartei, die einen Anspruch auf Vertragsanpassung behauptet, darlegen und beweisen, warum ihr das unveränderte Festhalten am Vertrag nicht zuzumuten ist. Ein pauschaler Hinweis, zum Beispiel auf die Corona-Pandemie oder die Ukraine-Krise, genügt hierfür nicht.

Gestaltung neuer Bauverträge

Neue Bauverträge sollten zumindest aus Sicht des Auftragnehmers in jedem Fall eine Klausel enthalten, die eine Preisanpassung bei unvorhergesehenen Baukostensteigerungen ermöglicht. Hierbei ist darauf zu achten, dass die Ausgangspreise sowie die Voraussetzungen und die Berechnung der Anpassung klar definiert sind. Unklarheiten gehen zu Lasten des Verwenders und können zur Unwirksamkeit der intransparenten Bestimmung führen.

Fazit

»Die aktuellen Materialpreissteigerungen stellen die Bauvertragsparteien vor große Herausforderungen. Zur Klärung der Frage, wie mit dieser Situation umzugehen ist, wird in vielen Fällen anwaltliche Unterstützung notwendig sein. In den seltensten Fällen sind bereits laufende Bauverträge so vorausschauend formuliert, dass eine Vertragsanpassung allein anhand der vertraglichen Regelungen erfolgen kann. Die Formulierung praktikabler Anpassungsklauseln in neuen Bauverträgen ist rechtlich komplex. Generell ist den Parteien zu empfehlen, nach einvernehmlichen Lösungen für eine Vertragsanpassung zu suchen. Oft kann nur so ein jahrelanger Rechtsstreit mit ungewissem Ausgang und eine erhebliche Vergrößerung des Schadens vermieden werden.«

Kontakt

Kanzlei Weiss Walter Fischer-Zernin
Rechtsanwälte
Steuerberater
Wirtschaftsprüfer
Seitzstraße 8d
D-80538 München
T +49 (0)89 29 07 19 29
F +49 (0)89 29 07 19 17
e.engbers@rae-weiss.de
www.rae-weiss.de